
Lieber Dima, was ist das »магазин«?
Also ich würde sagen, ohne es sprachlich beweisen zu können, es ist der »Magasin«. Und was er eigentlich ist … ist eine ausgezeichnete Frage. Formell betrachtet ist es ein russischer Spezialitätenladen, der Mitte der 90er in Leipzig eröffnet und eigentlich erst kurz nach Corona schließen muss. Es ist die die Stätte, an der mein Roman spielt. Zumindest in der ersten Hälfte. Aber was der »Magasin« dann eigentlich ist, das ist fast eine metaphysische Frage. Er ist einerseits natürlich dieser soziale Raum für die osteuropäische Diaspora, die sich dort begegnen kann, die dort nicht nur die Krabbenstäbchen des Herzens findet, sondern auch kulturelle Sicherheit. Es ist also ein relativ unschuldiger Ort, wo die Leute um ihr Weißkraut und ihren Meerrettich feilschen. Es ist aber eben auch ein Ort, wo ganz viele Identitäten aufeinandertreffen. Es ist natürlich auch der Familienbetrieb des Erzählers. Und ein Ort, wo die Fische sprechen können – ein magischer Ort sozusagen. Also es ist etwas ganz, ganz Schlichtes und gleichzeitig ein extrem komplizierter Ort.
Dein Buch steckt voller unvergesslicher Figuren. Welche liegt dir besonders am Herzen?
Das ist eine gemeine Frage, weil mir eigentlich alle Figuren am Herzen liegen. Natürlich ist die Mutterfigur nicht nur am Herzen, sondern vielleicht das Herz dieser Geschichte. Wenn ich es aber auf einer einfacheren, unverfänglicheren Ebene sagen müsste, dann wäre es vielleicht Gennadi. Gennadi ist ein älterer Herr, der immer wieder in den »Magasin« kommt. Der ewige Eis-Esser, der sich über 20 Jahre lang wundert, wie teuer das Eis ist, aber auch nie bereit ist, weniger zu zahlen, sondern dann doch letztlich den ganzen Preis zahlt. Gennadi habe ich irgendwie sehr, sehr gern in seiner relativen Schlichtheit, dass er einfach sehr gerne Eis isst.
Was ist das Besondere am Verhältnis zwischen dem Erzähler und seiner Mutter?
Das Verhältnis des Erzählers und der Mutter ist einerseits ein bedingungslos liebevolles und gleichzeitig ein extrem kompliziertes, weil es, obwohl die Familie aus der Ukraine kommt (aus Kiew), sehr verschiedene Vorstellungen davon gibt, wer schuld ist an diesem Krieg ist. Die Mutter gibt der russischen Argumentation recht und beschuldigt die Ukraine. Und der Sohn ist halt ein normaler Mensch und nennt einen kriegstreibenden Diktator einen kriegstreibenden Diktator. Erschwerend kommt aber hinzu, dass da diese russische Sprache ist, diese Mutter-Sprache für den Sohn, zu der er immer ein kompliziertes Verhältnis hatte. Und durch den Krieg wird es noch viel komplizierter. Ich betone das mit der Mutter-Sprache auch deshalb so sehr, weil es immer wieder diese Zerrissenheit gibt zwischen den beiden. Aber eben um die Sprache, die russische, die Muttersprache. Es ist sinnbildlich dafür, dass man sich nicht aussucht, wie und wen man liebt und dass Liebe nicht vergeht, auch nicht, wenn man vielleicht die Liebe gern politisch abmontieren würde.
Kannst du uns einen Ausblick geben, wie es mit Mutter und Sohne weitergeht im Roman?
Der Sohn trifft irgendwann die kategorische Entscheidung, dass es scheinbar nur eine Möglichkeit gibt, seine Mutter von den russischen Propagandalügen zurückzubekommen. Und das ist, selbst in die Ukraine zu fahren und sich so mit der Realität zu konfrontieren.
Gibt es auch wieder Katzen?
Also auf diese Frage habe ich mich vorbereitet, weil seit der »Formalie in Kiew« das nicht zu beseitigende Gerücht entstanden ist, ich hätte etwas gegen Katzen. [mit Olaf-Scholz-Stimme] »Lassen Sie mich eines ganz klar … «: Ich habe nichts gegen Katzen. Ich liebe Katzen. Und in diesem Buch tauchen auch Katzen auf. Nicht so oft, nach meiner Zählung zwei Mal. (Wie gesagt, ich habe mich vorbereitet.) Die eine Katze taucht in Leipzig auf, Djuschek, und die zweite Katze treffen wir in Butscha.
War es dein erstes Hörbuch? Wie hast du das Aufnehmen empfunden?
Meine erste Hörbuchaufnahme, also jede Zeile des Romans noch einmal durchzugehen und auch zu verkörpern, das war ebenso schön wie intensiv. Nun freue mich irre auf das fertige Hörbuch und werde es wahrscheinlich aus Scham vor meiner eigenen Stimme doch nicht anhören.
Danke, lieber Dima!